Kramp-Karrenbauer: Nehme Sorgen in Osteuropa sehr ernst

DW: Frau Ministerin, der amerikanische Außenminister ist heute in Dänemark, es geht auch um Nord Stream 2. Die Trump-Administration trennt noch weniger als andere Regierungen zwischen wirtschaftlichen und Sicherheitsinteressen. Wie groß ist der Schaden, den die NATO bisher davongetragen hat?

Annegret Kramp-Karrenbauer: Zuerst einmal ist Nord Stream 2 ein Projekt, das in den Mitgliedsstaaten der EU und der NATO diskutiert wird. Ich habe das bei meiner Reise in die Visegrad-Staaten erlebt. Es geht um die Sorge, dass Deutschland sich zu sehr abhängig macht von russischem Gas – das konnten wir zerstreuen. Es geht um die Sorgen und die berechtigten Interessen der Ukraine und von Polen. Das muss für die Verträge verhandelt werden. Und was die angedrohten Sanktionen anbelangt, sind wir in der Bundesregierung klar der Auffassung, dass das mit internationalem Recht nicht vereinbar ist.

„Wenn US-Truppen in Europa bleiben, ist das ein Bekenntnis zur NATO"

Nun hat Donald Trump damit gedroht, 9500 Soldaten aus Deutschland abzuziehen. Wie reversibel ist der Schaden, den die NATO und das Vertrauen unter den Bündnispartnern bislang genommen haben?

Bisher ist für die NATO überhaupt kein Schaden entstanden. Aber die Frage des Truppenabzugs aus Deutschland betrifft das Bündnis. Und es wird entscheidend sein – wenn der Kongress diesem Abzug zustimmt und sie abgezogen werden – wohin werden sie verlagert? Wenn sie in Europa bleiben, dann ist das weiterhin das klare Bekenntnis auch zur NATO. Sollten sie aber zum Beispiel verlagert werden in den indopazifischen Raum, dann wäre das ein möglicher Hinweis auf eine veränderte Strategie der Vereinigten Staaten. Und das wiederum würde andere Diskussionen in der NATO auslösen.

Auf der Reise in die östlichen Ländern der NATO haben Sie ein altes Zitat eines Generals wiederholt, der gesagt hat: Die NATO sei dafür da, die Russen fernzuhalten, die Amerikaner nah an sich zu halten und die Deutschen unter Kontrolle zu halten. Gleichzeitig haben Sie vom großen Wandel gesprochen.

Spürbar war in den Staaten Mitteleuropas, dass es eine große Erwartung an Deutschland gibt, mehr Verantwortung zu tragen. Und es gibt eine sehr deutliche Sichtweise auf Russland. Russland steckt gerade in einer Militärübung mit 150.000 Mann und 27.000 Fahrzeugen. Das ist ein wichtiger Punkt, den wir sowohl in der NATO, aber auch in der Erarbeitung der Bedrohungsanalyse und eines strategischen Kompasses in Europa mit einfließen lassen müssen.

Nun würde man sich in Polen darüber freuen, wenn dorthin Truppen umverteilt werden. Wie ernst nehmen Sie denn die ganz konkreten Sorgen dieser Staaten, auch gerade der baltischen?

Ich nehme diese Sorgen sehr ernst. Es macht einen Unterschied, ob ich vor meiner eigenen Haustür eine deutlich sichtbare russische Marine habe, die dort übt. Das sind die Erfahrungen, die diese Staaten tagtäglich machen und das müssen wir mit aufnehmen und deswegen gehört das in die Betrachtungsweise unserer Bedrohungen dazu. Am Ende muss die Bedrohungsanalyse die Grundlage sein dafür, dass wir eine gemeinsame Handlungsfähigkeit entwickeln.

„Libyen zeigt, wie begrenzt die Handlungsfähigkeit ohne Präsenz ist"

Am ganz konkreten Beispiel Libyen zeigt sich die begrenzte Handlungsfähigkeit Europas. Und ausgerechnet ein NATO-Bündnispartner, Türkei, versucht nicht unbedingt, auf Stabilität hinzuwirken. Was sind die nächsten Schritte, die Deutschland dort nehmen muss?

Was wir konkret tun können, ist zum einen zu versuchen, den Waffenschmuggel von See aus zu verhindern. Deswegen werden wir jetzt im August eine Fregatte in die Mission Irini mit einbringen. Das zweite ist – was gerade das Auswärtige Amt ja überlegt -, dass man die Namen der Waffenschmuggler veröffentlicht, dass man möglicherweise auch Sanktionen erhebt, um diesen Druck zu erheben. Ansonsten zeigt Libyen, wie begrenzt man in seiner Handlungsfähigkeit ist, wenn man vor Ort keine Präsenz hat. Dann läuft man in die Gefahr, die wir jetzt sehen, dass ein Land möglicherweise aufgeteilt wird zwischen der Türkei und Russland. Das ist sicherlich für Europa nicht die beste Situation. Die Entscheidung, dass wir uns vor Ort nicht engagieren, ist vor geraumer Zeit getroffen worden und wir sehen heute die direkte Konsequenz dieser Entscheidung.

Und was sagen Sie Ihrem Bündnispartner Türkei zu seiner Rolle dort vor Ort?

Wir besprechen das sehr intensiv. Deutschland ist derjenige, der immer die Gesprächsfäden hält. Es gibt noch andere Konfliktpunkte, etwa im Mittelmeer, wenn es um Bodenschätze und Bohrungen geht. Deutschland genießt in dieser Region ein hohes Vertrauen. Deswegen wenden sich auch viele an uns, und das versuchen wir dort, wo es hingehört, nämlich in den persönlichen Gesprächen und hinter den Kulissen, bestmöglich zu klären.

„Wir gehen Munitionsverlusten mit aller Akribie nach"

Kommen wir noch zu den Vorwürfen von Rechtsextremismus in der Spezialeinheit der Bundeswehr. Wie sicher können Sie sich sein, dass Sie die Bundeswehr überhaupt zu einem nazifreien Raum machen können?

Die Bundeswehr ist Teil dieser Gesellschaft. Das heißt, solange wir rechtsextreme Tendenzen in unserer Gesellschaft haben, werden wir nie sicher sein können, dass es in der Bundeswehr solche Tendenzen nicht gibt. Was wir tun können, ist, dass wir jedem Fall ganz konsequent nachgehen, dass wir die dahinterliegenden Instrumente und Netzwerke aufdecken, dass wir präventiv tätig sind.

Nun fehlen Zehntausende Schuss Munition, gerade auch bei den Spezialeinheiten. Wie groß ist Ihre Sorge, dass auch in der Bundeswehr solche Menschen eher zur Tat schreiten im jetzigen Klima?

Ich nehme jeden Hinweis und jeden Verdacht, dass das so sein könnte, sehr, sehr ernst, weil wir eben mit dem Mord am Walter Lübcke, mit den Vorfällen und dem Attentat in Halle gesehen haben, dass wir eine Wirkkette haben: Es sind Gedanken, die gedacht werden, es sind Worte, die ausgesprochen werden. Und es gibt immer welche, die dann auch zur Tat schreiten. Und das müssen wir auf jeden Fall verhindern – gerade in der Bundeswehr. Deswegen gehen wir diesen Munitionsverlusten mit aller Akribie nach.

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