Brauche ich eine Brille?

Hatte ich bisher immer für entbehrlich gehalten, doch dann flatterte mir eine kleine Zeitung ins Haus. Es war die Stadtteil-Zoten, alle 14 Tage ist sie im Briefkasten, angefüllt mit einem Übermaß an Reklame plus sinnfreien Artikeln, die meist auch nichts weiter als zusätzliche Reklame sind.

Ein Artikel fiel mir auf: Der Skatclub Hau Drauf e.V. trauerte um den Abriss eines Komplexes, wo es früher schöne Skatabende gab, das Bier in Strömen floss und man am Ende eines solchen Abends meist zu Fuß nach Hause gehen musste, das Fahrrad schwankte einfach zu stark hin und her …

Die Redakteurin, Lieselotte Schnakenburgk mit K, schrieb den Artikel selbst. Im Ort war sie eine kleine Berühmtheit. Sachen von Bedeutung schrieb nur sie! Als Beispiel sei an jenen legendären Artikel erinnert, wo sie das Foto von einem Wirt und dessen Ehefrau vor seinem Lokal machte, Bildunterschrift: Der Wirt und seine charmante Angestellte.

So befremdlich das auch ausschaute, ganz falsch ist es nicht gewesen, denn seine Frau war bei ihm angestellt und oft genug stellte sie sich auch an …

Zurück zum Skatclub, ich darf auszugsweise zitieren: … bei einer Grillwurst und einem Bier vom Fass der Zeit zu gedenken … Toll, wäre da nicht auch ein Foto gewesen. Drei der netten Skatbrüder saßen vor ihren Bierflaschen mit Schnappverschluß, unter dem Tisch stand ein ganzer Kasten … doch wo war die Grillwurst und wo das Fassbier? Ich nahm die Zeitung mit auf den Balkon, im hellen Tageslicht sehe ich das vielleicht besser. Fehlanzeige, auch ein Vergrößerungsglas brachte mich nicht weiter. Ich rieb meine Augen, soll angeblich hilfreich sein, trotzdem nichts gesehen.

Spontan fuhr ich zur Augenärztin meines Vertrauens. Wie immer, prüfte sie gewissenhaft mein Sehvermögen, befand: Alles bestens! Nee, Frau Doktor, ich zeigte ihr das Foto. Sie sollte mir mal das Bierfass und die Grillwürstchen zeigen, von der die Redakteurin schrieb. Ich konnte es mir nur mit bedenklicher Sehschwäche erklären.

Hah, meine Ärztin war entsetzt. Ist ihr noch niemals passiert, sie macht für mich und sich selbst sofort einen Termin bei einem Kollegen. Peinlich berührt sagte sie mir, auch sie konnte nichts erblicken.

Der Kollege schickte uns nach Abklärung zu einem Optiker, mit dem er vorab leise im Nebenraum telefonierte. Dann schickte er uns los, zum Optiker Schielmann, dem Spezialgeschäft ganz in der Nähe. Weshalb er dabei so blöde grinste, verriet er uns nicht.

Ist ja lächerlich, fand ich ganz am Anfang, wieder sollte ich auf eine Tafel mit Buchstaben und Zahlen sehen. Doch hallo? Ganz weit unten, dort wo die ganz, ganz kleinen Symbole sind, da sah ich es! Dort war ein kleines Bierfass und eine Grillwurst abgebildet. Ich sehe es, ich sehe es! Laut schrie ich meine Freude heraus. Frau Doktor, im Nebenraum, erging es ähnlich. Wir konnten unser Glück kaum fassen.

Endlich entgeht meinen Adleraugen kein Detail mehr, einfach schööön.

Die uns betreuende Optikerin erklärte uns dann, wir hätten ein hervorragendes Sehvermögen, wir wären zu beneiden. Sofort kramte ich das Foto der Zeitung wieder heraus, jetzt sollte es gelingen! Ähm, keine Grillwürste, kein Bierfass in Sicht …

„Da gibt es nur eine letzte Möglichkeit“, die Optikerin blickte uns ernst an, „Sie müssen vielleicht an beiden Augen operiert werden …“

Sofort fuhr ich zur Redaktion, wollte Klarheit über die fotografischen Details. Zu konfus war die Sache. Leider traf ich Frau Schnakenburgk mit K nicht an, der freundliche Mitarbeiter erklärte mir, die Kollegin wäre gerade in psychiatrischer Behandlung der örtlichen Heilanstalt, sie sähe neuerdings Dinge, die überhaupt nicht da wären … OH!!!

DIE Zeitung kommt mir nicht mehr ins Haus!!!

Veröffentlicht von:

Ulli Zauner

Am Krausen Baum 6
40489 Düsseldorf
Deutschland

Avatar Ansprechpartner(in): Ulli Zauner
Herausgeber-Profil öffnen

Firmenprofil:

Ich arbeite ausschließlich als Freelancer

Vorherige bzw. nächste Pressemitteilung: