Brief an meine Ex

Hallo Maus,
ich sitze gerade bei Dietmar in der Kneipe und genieße mein drittes Glas Bier. Früher war das ja nicht möglich, weil Du schon bei der zweiten Bestellung protestiert hast: „Trink nicht so viel, sonst kannst Du nachher wieder nicht …“ Dabei wollte ich auch nicht.
Trotzdem muss ich Dir jetzt einmal sagen, Du warst immer sehr rücksichtsvoll. Ich erinnere mich noch, wie Du mir vor unseren Zweisamkeiten immer die Augen verbunden hast, damit ich mich nicht vor dem ängstige, was ich dann zu sehen bekäme. Meine Fluchtversuche hast Du gleichfalls unterbunden, indem Du mich immer gefesselt hast. Finde ich jetzt nicht mehr tragisch, nur die Sache mit dem Rohrstöckchen, also das war wirklich nicht schön von Dir.
Ich bestelle mir jetzt im Internet was zum Futtern. Bei Dir war es damit leider immer etwas dramatisch. Erinnerst Du Dich, wie Du in der Küche gestanden bist, das Kochbuch eines gewissen Johann Lafer in der Hand und uns ein Steak brutzeln wolltest? Warum Du dann mittels schwarzer Rauchzeichen gleich die Feuerwehr eingeladen hast, ist mir auch heute noch nicht bekannt. Aber den Tipp vom Einsatzleiter, vorher auch etwas Fett oder Öl in die Pfanne zu tun, den hast Du Dir hoffentlich gemerkt.
Seit ich nicht mehr für Dich bei der GEMA beschäftigt bin, ist mein Tag etwas ruhiger geworden. Immer hast Du gesagt: „Geh ma hier hin, geh ma dort hin …“, es war schon recht stressig. Auch vermisse ich Dein Lob über die damals von mir geleisteten Haushaltsarbeiten. Nur dadurch konnte ich Dir doch die Zeit zum Shoppen beim Designer ermöglichen. Jedoch überlege ich immer noch, was jene modische Edelmarke gegen Dich gehabt haben könnte, als Du das Kleid angezogen hattest und wir damit flanieren gingen. Alle Leute drehten sich nach uns um und manch Kommentar des Neids war zu hören: „Wie ist der denn an DIE gekommen …?“ Ehrlich, ich habe auch nicht verstanden, wieso man Deinen schwabbeligen Bauch nicht hineinkonstruiert hat. Sind doch angeblich alles Fachleute.
Oh ja, ich denke häufiger an Dich. Die Sparkasse übrigens auch. Es kommt immer noch Fanpost von denen. Einen dieser Briefe hatte ich gestern versehentlich geöffnet. Da stand was von Kontopfändung und letzte Mahnung. Sicherlich liegt hier ein Missverständnis vor, weil Du Dein Konto doch niemals angerührt hast, sondern immer bei mir Geld abgehoben hattest. Rede doch mal mit den netten Menschen.
Die Sache mit meinem Auto hat sich endlich geklärt. Die Versicherung hat mir bestätigt, wenn ein fabrikneues Auto schon eine Woche im Betrieb ist, gilt es als Gebrauchtwagen, darum wird auch nur ein Teil des Preises rückerstattet. Du konntest nichts für den Unfall, weiß ich doch, woher solltest Du auch die Vorfahrtsregeln kennen, wenn Du nicht einmal einen Führerschein hast?! Diese Welt ist wirklich ungerecht!!!
Ich habe mir auch vorgenommen, nicht mehr so grundlos eifersüchtig zu sein. Als ich damals früher von der Arbeit nach Hause kam und den Briefträger in Unterhosen durch die Wohnung flitzen sah, war ich wirklich zu Unrecht sauer. War doch klar, Du wolltest ihm nur eine gerissene Hosennaht nähen und ich dachte schon … jetzt schäme ich mich dafür.
Summa summarum war das Leben mit Dir weitaus aufregender als jetzt.
Mein Hausarzt sagte es ebenso: „Ihr viel zu niedriger Blutdruck sollte auf natürliche Weise in die Höhe getrieben werden, nehmen Sie doch Ihre Ex zurück …“
Eigentlich eine gute Idee. Mein Neurologe fand das auch, ließ mich durch den Hol- und Bringdienst vorsorglich einer anti-Ex-Phobie-Therapie zuführen. Nun sitze ich in einem komfortablen Einzelzimmer. Das modische Weiß der Wände beruhigt ungemein, und weil ich Luxus immer zu schätzen wusste, wurden die Wände zusätzlich mit weichem Gummi ausstaffiert.
Maus, ich bin jetzt bereit für Dich!

Veröffentlicht von:

Ulli Zauner

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