Robert Franken: Vom Privileg zur Haltung – Diversity & Inclusion in Unternehmen und Organisationen

„Wir müssen die Konsequenzen von Privilegien bewusst machen“
Interview mit Robert Franken, Digital & Diversity Consultant, RF Consulting
Feldkirchen bei München, 21.07.2021

Noch immer würden Unternehmen zu wenig am System ansetzen, wenn es um die Teilhabe aller gehe, sagt Robert Franken. Mit dem Musiker und Publizisten Henrik Marstal hat er vor fünf Jahren die Male Feminists Europe gegründet. Das Credo: „All men should support feminism.“ Robert Franken bezeichnet sich vorsichtig als Feminist, will damit aber nicht provozieren. Er will vielmehr das Bewusstsein der Männer schärfen, sich als Teil der Lösung für mehr Geschlechtergerechtigkeit einzusetzen. Der Digital and Diversity Activist wird auf der herCAREER, der Karriere-Leitmesse für Frauen, am 16. September einen Vortrag zu „Eine Frage der Kultur oder: warum wir nicht mehr über Diversity sprechen sollten“ halten.

Robert, Dein Credo lautet: Stop fixing people, fix the system! Was konkret meinst du damit?

Wenn wir Inclusion in Unternehmen und Gesellschaft, also die Schaffung von Rahmenbedingungen für echte Chancengerechtigkeit, ernst nehmen, dann müssen wir ganz konkret die Hindernisse in den Blick nehmen, die das Ziel von Inclusion – nämlich die Teilhabe und das Belonging (Anm.: Teilhabe, empfundene Zugehörigkeit) erschweren oder verhindern. Diese Hindernisse sind zu nicht unwesentlichen Teilen strukturell bedingt: sie liegen also in unseren Systemen begründet.

Sind Führungskräfte und ManagerInnen zu sehr darauf bedacht, am Mindset von Menschen rumzubasteln und zu wenig am System?

Ja. Es bringt herzlich wenig, wenn wir versuchen, die Menschen passend für unsere Systeme zu machen. Ein Beispiel: Es reicht nicht, wenn wir einfach nur Frauen in Führungspositionen befördern, wenn wir nicht gleichzeitig dafür sorgen, dass die Frauen diese Positionen auch bestmöglich ausfüllen können.

Reicht es, das System zu ändern, wenn wir doch alle unbewusste Biases, also Vorannahmen und Vorurteile, in uns tragen?

Bei der Veränderung der Rahmenbedingungen unserer Systeme benötigen wir genau dieses Bewusstsein: dass menschliches Denken und Verhalten wesentlich von unbewussten Biases beeinflusst wird. Diese Erkenntnisse müssen in die Systemveränderungen einfließen. Dazu gehört es, dass wir regelmäßig Beobachtungsebenen schaffen, die die Interventionen und deren Auswirkungen in den Blick nehmen – und dass wir dann gegebenenfalls nachjustieren.

So manches Unternehmen würde behaupten, es setzt auf Diversity und hat eine gerechte Organisationskultur. Was konkret macht den Unterschied zwischen echter Diversity und fake?

Diversity bedeutet nicht „checking boxes“, sondern die Schaffung fairer und auf Teilhabe ausgerichteter Organisationskultur(en): Für mich macht die Haltung den Unterschied. Diversity ist ja eher der Ausgangspunkt, also Fakt. Und wenn das so ist, dann lautet der Weg und die eigentliche Arbeit „Inclusion“. Darunter versteht man die Schaffung von Rahmenbedingungen für Chancengerechtigkeit mit Blick auf das eigentliche Ziel all dieser Bemühungen, nämlich „Belonging", also Teilhabe oder empfundene Zugehörigkeit.
Die Deutungshoheit über den Erfolg von Inclusion liegt nicht bei den Unternehmen, sondern bei denjenigen, für die diese Arbeit getan wird. Wenn ich Teilhabe/Belonging zum Ziel habe, dann brauche ich eine dazu passende Haltung. Und diese Haltung hat mehr mit Demut und Verantwortung zu tun als mit allzu positiven Deutungsversuchen bezüglich der eigenen Maßnahmen und Erfolge.

Im Diskurs in Unternehmen und auch öffentlich scheint unter dem Label „Diversity“ meist Frauenförderung gemeint zu sein. Wie ist hier deine Wahrnehmung?

Ja, die Verengung auf die Dimension Gender ist mehr als kontraproduktiv. Zumal es ja eigentlich um Intersektionalität geht: Wir sind komplexere Lebewesen als es sich in den Kategorien männlich/weiblich, schwarz/weiß oder behindert/nicht-behindert ausdrücken lässt. Es geht um die Verschränkung dieser Dimensionen in Bezug auf die Systeme. Eine homosexuelle Woman of Color mit einer nicht-sichtbaren Behinderung hat ein völlig anderes Systemerleben als ein weißer cis-Mann im mittleren Alter. Sie erlebt Marginalisierung und Diskriminierung nicht nur als Frau oder als PoC oder als Mensch mit Behinderung – sondern auch und vor allem in Kombination dieser Dimensionen. Das macht die Aufgabe natürlich komplex, aber so ist das eben.

Du sagst, aus Privileg muss Verantwortung entstehen, und nimmst die Männer als Teil der Lösung in die Pflicht. Warum sollten Männer hier Verantwortung übernehmen, wenn sie sich doch nicht mal als Teil des Problems fühlen – sondern im Gegenteil, sogar immer wieder als benachteiligt von den Bevorzugten – den Frauen. Das klingt nach Drama und Täter-Opfer-Spiel. Sollten nicht beide Geschlechter langsam aus diesem „alten“ Bewusstsein aussteigen?

Männer sollten Teil der Lösung sein, sonst sind sie Teil des Problems. Gleichzeitig sind es aber eben männliche Systemerfahrungen, die da thematisiert werden. Und diese sind wiederum wichtig, damit wir eine Grundlage für einen gemeinsamen Diskurs finden können. Die Zuschreibung, dass Männer das Problem sind, ist ja nicht unbedingt eine Einladung für ein gemeinsames Gestalten der Systeme. Deshalb halte ich es für wichtig, an die Wahrnehmungen von Männern anzuknüpfen und sie ernst zu nehmen – ohne Männer erneut in den Mittelpunkt allen Interesses zu stellen. Das ist manchmal eine Gratwanderung, aber eine notwendige. Viele Männer beschreiben ja ein System, unter dem sie ebenfalls leiden. Und nicht selten ähneln diese Beschreibungen einem System, das man als Patriarchat bezeichnen könnte. Wir haben also offenbar einen gemeinsamen Gegner. Darin liegt eine große Chance. Gleichzeitig müssen aber alle Versuche, sich ausschließlich als Opfer zu sehen, dekonstruiert werden.

Du selbst thematisierst als weißer noch recht junger Mann deine eigene Privilegiertheit. Welche Reaktionen hat dir das bei deinen Geschlechtsgenossen eingebracht?

Also so ganz jung bin ich mit 47 wirklich nicht mehr. Eher repräsentiere ich neben vielen anderen Merkmalen auch mit meinem Alter einen recht normativen Durchschnitt. Zu den Reaktionen: Wer meint, ich würde ihm sein Privileg vorwerfen, dem sage ich, dass ich das nicht tue – weil ich es gar nicht kann. Denn für die meisten Ursachen von Privilegien hat man ja selbst gar nichts getan. Es geht eher um die Bewusstmachung der Konsequenzen von Privilegien: für einen selbst, aber vor allem auch für Menschen, die nicht so sind, wie man selbst. Darin liegt die Chance zur Verantwortungsübernahme. Denn wenn ich aus dem Zustand eines nicht-bewussten Nichtwissens zu einem Zustand des bewussten Nichtwissens gelange, dann schließt sich ja unmittelbar die Frage an, was ich mit dieser Erkenntnis mache: welche Konsequenzen ich also aus dem neu erworbenen Wissen ziehe.

Du sagst, Ziel muss die Herstellung von Sprech- und Handlungsfähigkeit männlicher Top-Executives im Zusammenhang mit Diversity, Inclusion, Belonging sein. Worin hakt es da? Liegt es am Delegieren von Verantwortung nach unten – etwa in Richtung HR?

Diese Dinge kann ich nicht delegieren. Ich muss aus dem Lernen über Konzepte, Systeme, Hierarchien und Zusammenhänge ableiten, was ich in meiner jeweiligen Rolle zu tun habe. Da wird schnell klar, dass das niemand für mich erledigen kann, sondern dass das nur in der Bündelung von Kräften und Verantwortlichkeiten funktioniert. Entscheidend sind Haltung und Ambition. Eine Haltung, die sich aus Demut und Neugier speist, wird meinen Erkenntnisgewinn auf einer Lernreise sehr positiv beeinflussen. Und wenn ich in diesen Themen eine ähnliche Ambition entwickle, wie ich sie in meinen sonstigen beruflichen Herausforderungen an den Tag lege, dann ist die Chance groß, dass ich Teil der Lösung werden kann statt Teil des Problems zu bleiben.

Wie können Unternehmen echte Inclusion herstellen und wozu sollten sie das überhaupt tun? Warum sollten Unternehmen das tun – nicht alles schlägt sich hier unmittelbar in Erfolgskennzahlen nieder, die ja immer noch maßgeblicher Treiber sind.

Unternehmen sollten das tun, weil sich das disruptive Potenzial nicht mehr nur in der Nutzung technologischer Innovation ausdrücken wird, wie es seit Mitte der 1990er Jahre zu beobachten war – sondern weil sich zukünftige DisruptorInnen dadurch auszeichnen, dass sie in der Lage sind, „inclusive cultures“ zu entwickeln und zu nähren. Um hier glaubwürdig zu sein, braucht es nachhaltige und dadurch glaubwürdige Arbeit an den Rahmenbedingungen für echte Teilhabe, und nicht nur markige Statements zu Diversity & Inclusion. Diese Arbeit ist mühselig, kleinteilig und vermutlich nie endend – das schreckt viele noch ab. Aber sie ist alternativlos.

Robert Franken live erleben: Am Donnerstag, 16. September 2021, von 13:30 bis 13:50 Uhr, spricht er im Vortrag „Vom Privileg zur Haltung – über Chancengerechtigkeit in Organisationen“ auf der Messe herCAREER.

Ãœber Robert Franken

Robert Franken berät seit vielen Jahren Unternehmen zu Organisationskultur, Transformation und Diversity & Inclusion. Zuvor war er 15 Jahre lang für Tech- und Community-Startups tätig, zuletzt etwa als Geschäftsführer von Chefkoch.de. Er hat die Plattform „Male Feminists Europe“ mitgegründet und ist ehrenamtlicher Botschafter für HeForShe Deutschland sowie Beirat für das Leadership-Netzwerk PANDA.

Ãœber die herCAREER

Die herCAREER ist DIE Plattform für die weibliche Karriereplanung. Die deutsche Leitmesse findet vom 16. bis 17. September 2021 bereits zum sechsten Mal in München statt – erstmals in neuer Location, dem MOC. Rund um die Messe schafft die herCAREER weitere Angebote, die für Jobeinsteiger:innen, Fach- und Führungskräften sowie Gründer:innen Netzwerke erschließen, die sie beruflich besser und schneller voranbringen.

Das Besondere an der herCAREER: Sie bricht Hierarchien auf und ermöglicht einen Austausch auf Augenhöhe. Die Besucher:innen können vom Wissen der Community und von den Erfahrungen und dem Know-how erfahrener Role Models und Insider lernen. Auf der herCAREER kommen sie in lockerer Atmosphäre mit Expert:innen ins Gespräch und können ihr berufliches Netzwerk strategisch und gezielt ausbauen. Damit setzt die Messe auf dem Trend auf, dass inzwischen nahezu jeder 2. Job über persönliche Kontakte besetzt wird.

Einzigartig ist auch das Ausstellungsspektrum: Im Fokus stehen Arbeitgeber aus verschiedensten Branchen, Weiterbildungsangebote, Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie Angebote für Gründer:innen und Unternehmer:innen. Ergänzt wird das Leistungsspektrum um den Themenbereich Finanzen, Geld und Vorsorge. Außerdem stellen Unternehmen bei den Future Talks vor, an welchen Innovationen sie arbeiten und wie sie Digitalisierung und New Work vorantreiben.

Angereichert wird das Programm um über 60 Vorträge und Diskussionen mit Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik sowie um rund 300 MeetUps und Talks mit Role Models. Darunter sind auch zahlreiche Gründerinnen, die bereit sind, ihr Wissen zu teilen und über ihre Erfahrungen und Lernkurven zu berichten. Das umfangreiche Vortragsprogramm ist im Eintrittspreis inkludiert. Für Studierende sowie Absolventinnen und Absolventen ist die Messe kostenfrei sowie die An- und Heimreise mit FlixBus aus dem gesamten Bundesgebiet. www.her-career.com/FlixBus

Weitere Informationen über die Karrieremesse für Frauen gibt es unter www.her-career.com, über Facebook: www.facebook.com/herCAREER.de/ über Twitter @her_CAREER_de, #herCAREER, Instagram www.instagram.com/herCAREER/ und bei Linkedin www.linkedin.com/company/herCAREER. Bereits wie im Vorjahr ist die Veranstaltung in einigen Bundesländern als Weiterbildungsveranstaltung anerkannt: www.her-career.com/Bildungsurlaub

Über Natascha Hoffner
Natascha Hoffner ist die Initiatorin der herCAREER – der Plattform für die weibliche Karriereplanung. Sie verfügt über 20 Jahre Erfahrung in der Messebranche und gründete 2015 die messe.rocks GmbH mit Sitz im Münchner Osten. Sie möchte es nicht hinnehmen, dass die Gleichstellung von Männern und Frauen in der Arbeitswelt laut Prognose des Weltwirtschaftsforums erst in 100 Jahren erreicht wird und tut alles dafür, dass das schneller geht. Rund um die Messe herCAREER hat die Geschäftsführerin der messe.rocks GmbH zahlreiche Angebote zur Vernetzung und Information von Frauen lanciert: Expert:innen-Interviews, den Podcast herCAREER oder den digitalen herCAREER-Jobmatch. Demnächst launcht sie die herCAREER-Lunchdates für den fachlichen Karriere-Austausch zu Themen wie Berufseinstieg, Aufstieg ins nächste Karrierelevel oder Gründung.

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Mit herCAREER sind wir die Plattform für die weibliche Karriereplanung. Wir unterstützen Frauen und Unternehmen bei der hierarchieübergreifenden Netzwerkbildung - auf der Messe herCAREER und darüber hinaus ganzjährig:  Jobmatching, Role Models, Angebote für beruflichen Austausch und vieles mehr.

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