Jedermann gendert

Wer die aktuelle Theaterszene zu Salzburg verfolgt, mag sich auf den ersten Blick etwas wundern. Danach jedoch, spätestens nach der Aufführung von Jedermann, diesem Salzburger Evergreen der Festspiele, hinterfragt man die gelungene Besetzung.
Es ist wohl erstmalig geschehen, die Hauptrollen werden überwiegend durch Frauen besetzt. Dem Erfolg tat das keinen Abbruch, ganz im Gegenteil, die sorgsam ausgesuchten Darsteller zeugen von einer Bereicherung, die Jedermann mal wieder packender denn je macht. Seit 1920 ein jährlich neuer Erfolg, dessen Ende absolut undenkbar ist.
Natürlich gibt es auch einen Wermutstropfen, wie eigentlich immer, denn es heißt: Ausverkauft!
Gut für das Festspielhaus, gut für die Stadt und schade für die zahlreichen Liebhaber der Schauspielkunst, die sich auch von höheren Preisen nicht abschrecken lassen; ist doch gerade Salzburg DAS Ereignis schlechthin. Hinzu kommt selbstredend die besondere Atmosphäre einer romantischen Stadt. Jedoch verbleibt Jedermann beinahe schon als Pflichtprogramm der kulturell interessierten Besucher.
Riskieren wir mal einen Blick auf die die Buhle, Verena Altenberger.
Als sie mit 18 Jahren am renommierten Max-Reinhardt-Institut in Wien vorsprach, wurde sie abgelehnt. Aus heutiger Sicht eine krasse Fehlentscheidung. Danach studierte sie erfolgreich Publizistik- und Kommunikationswissenschaften, um schlussendlich doch die Rückkehr zur Schauspielerei einzuleiten und im Jahr 2015 die Ausbildung abzuschließen. Schnell überzeugte sie in verschiedensten Rollen, eine wahre Vollblutdarstellerin.
Im TV-Interview zeugte sich eine selbstbewusste kluge Frau, ausgestattet mit analytischem Humor. Dabei war sie auch ein unterhaltsames „Plaudertäschchen“ mit vielerlei Ansichten, verlor aber zu keinem Zeitpunkt den Blick auf das Wesentliche. Spontan war zu vermerken, die Rolle der Buhle erforderte viel Vorbereitung, eine Auseinandersetzung mit dem Charakter der Person, dem Stück an sich als auch der bestmöglichen Darstellung.
Gleichfalls führte ein weiteres Interview mit dem Regisseur, Michael Sturminger, zu äußerst bemerkenswerten Aspekten. Seine Vorbereitungen, welche Gedanken eine Rolle spielten, was der Zuschauer vermutlich in solcher Tiefe nicht zwingend vermerkt. Dabei sahen wir einen entspannten und zu Recht für seine Inszenierung gefeierten Kenner. Allein die aktuelle Auswahl der Darsteller hebt das Stück erneut auf ein Niveau mit Fragestellung: Wie soll das im nächsten Jahr wieder getoppt werden? Salzburg wird uns sicher weiterhin eine überzeugende Antwort liefern.
Der Tod (Edith Clever) kommt als Frau, provozierend und fordernd zugleich. Wie kann da der Teufel noch männlich sein? Marvie Hörbiger gibt uns die Antwort darauf! Die Idee ist neu, vielleicht etwas gewagt, jedoch am Ende eine durchaus begrüßenswerte Entscheidung zu Gunsten eines stets aktuellen Schauspiels. Egal ob es im alten Jahrhundert war oder im Jahr 2021, es verbleibt zeitlos mit einem Fingerzeig!
Großen Anteil daran hat Lars Eidinger in der Rolle als Jedermann. Ein sehr gelungener Gegenpart zur Buhlschaft. Hinreißend spielt er den verzweifelten Sterbenden, unterbrochen von Gier und Begierden, die zugleich zeigen wie schnell man allein ist, wenn man auf seine vermeintlichen Freunde zählt. Kein Fest, kein Geld bringt etwas zurück, was niemals vorhanden war. In dieser Erkenntnis zwingt uns Jedermann tief empfundenes Mitleid auf. Eine Rolle, die nachdenklich macht.
Zahlreiche Aspekte an diesem Stück sind aktueller denn je, ein Schuldknecht, ein guter Gesell, der arme Nachbar, dicke und dünne Vetter und, und, und … Kommt uns das nicht bekannt vor?
Über allem thront die Buhlschaft. Mal raffinierter List, mal mit Hingabe, sogar Liebe ist dabei … und bist Du doch mein Mann …
Jedermann stirbt um bald wieder neu gefeiert aufzuerstehen. Danke Salzburg!

Veröffentlicht von:

Ulli Zauner

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