Heirat mit Hindernissen

Eine Geschichte aus dem Buch “Endstation Anatolien”

Hugos Schweizer Visum lief ab, er hatte ein Jahr Sprachschule in Zürich hinter sich und sollte schon bald wieder in die Türkei zurückkehren. Von dort aus würde es nicht mehr so einfach für ihn sein, eine Einreisegenehmigung nach Deutschland zu bekommen. Ich musste belegen, dass ich über ein festes Einkommen und genügend Wohnraum verfügte sowie eine notariell beglaubigte Einladung an Hugo schicken, die er dann beim Deutschen Konsulat in Izmir einreichen würde. Das dauerte natürlich alles seine Zeit – die Beamtenmühle mahlt langsam und keinesfalls immer sicher. Im Winter 1985/86 bekam mein „Türke“ dann tatsächlich ein Touristenvisum für 3 Monate ausgestellt und durfte in die damalige BRD einreisen.

Wir machten uns, ohne viel Zeit zu verlieren, zum Standesamt auf und erfuhren dort, welche Unterlagen aus der Türkei angefordert werden mussten. Unter anderem ein Nachweis, dass mein Freund noch ledig war. Wertvolle Zeit verstrich, da damals alles nur per Post lief. Als wir endlich alle angeforderten Papiere zusammenhatten, schaute uns die Beamtin nachdenklich an und sagte: „Aber das ist ja ein Touristenvisum! Damit können Sie ja gar kein Aufgebot für die Trauung beantragen! Sie brauchen erstmal eine Aufenthaltserlaubnis vom Ordnungsamt.” Wir waren natürlich sehr erfreut, dass sie uns das nach all den Wochen auch schon mitteilte.

Also auf zur Ausländerbehörde! Nicht noch mehr Zeit verlieren! Dort sah sich der Beamte alle Papiere ganz genau durch und meinte dann belehrend: „Tut mir leid, aber Sie brauchen erst eine Heiratsurkunde vom Standesamt, damit wir Ihnen eine Aufenthaltserlaubnis ausstellen können.”

Es war bereits Februar zu dem Zeitpunkt, und uns blieben nur noch wenige Wochen bis das Touristenvisum ablief. Ich hatte den Plan durchschaut. Man schickte uns einfach hin und her, bis es zu spät war. Frustriert suchten wir abermals das Standesamt auf. Endlich sagte uns die Mitarbeiterin: „Wissen Sie was!? Hier ist das ja sowieso ganz unmöglich! Heiraten Sie doch einfach in der Türkei, dann kann Ihr Ehegatte vier Monate nach der Trauung problemlos hierher nachziehen.”

Danke schön, liebe Frau! Aber warum haben Sie uns das nicht eher gesagt? Dann wäre uns so manch Ärger und Rennerei erspart geblieben!

Hugo kontaktierte seine Familie in Izmir, und ich musste sehen, dass ich kurzfristig Urlaub bekam. Nachdem auch diese Hürde genommen war, fuhren wir mitten im Winter 2350 Kilometer mit dem Bus über das ehemalige Jugoslawien und Bulgarien in die Türkei. Das war die billigste Art zu reisen.

Der Balkan zeigte ein frostiges und trostloses Gesicht um diese Jahreszeit, die Busreise war anstrengend und alles andere als komfortabel. In Bulgarien mussten wir alle ohne unser Gepäck den Bus verlassen und uns zur Passkontrolle in eine lange Warteschlange einreihen, während zwei Beamte den Bus inspizierten. Als wir endlich abgefertigt waren und es weitergehen sollte, hielt in der letzten Sitzreihe ein Tourist anklagend seine Gitarre hoch – alle Saiten waren durchtrennt oder zerrissen. Froh, das damals noch kommunistische Bulgarien hinter uns gelassen zu haben, passierten wir schließlich aufatmend die türkische Grenze.

Und dann Istanbul! Eine Stadt, in der das bunte Leben nur so tobte. Gierig saugte ich die Farben und das Treiben der pulsierenden Metropole auf. Dies war Orient pur! Hugo hatte hier Journalistik und Kommunikationswissenschaften studiert – so war das alles für ihn nicht neu. Mir gefiel es, vor allem auch das wesentlich mildere Klima. In Istanbul  zeigten die Bäume bereits ein erstes zartes Grün, während sie auf dem Balkan noch kahle Skelette waren.

Etwas essen in einem der urigen kleinen Restaurants – und weiter mit einem anderen Bus – nach Izmir –  mit einer Fähre über den Bosporus! Wir verließen Europa! Dies war bereits Asien. Istanbul ist die einzige Stadt der Welt, die auf zwei Kontinenten liegt. Im Bus wurde großzügig Kölnisch Wasser verteilt – ein Bursche lief von Zeit zu Zeit mit einer Flasche durch den Bus, und die Reisenden streckten begierig ihre Hände aus. Der Geruch, der andere erfrischte, wurde mir bald beinahe unerträglich – noch heute lehne ich es dankend ab, wenn es mir in den Häusern nach der Begrüßung angeboten wird. Doch auch dieser Brauch hat inzwischen viel an Bedeutung verloren.

In Izmir liefen die Menschen schon in dünnen Sommerjacken durch die Straßen und Hugos Mutter stand in einem kurzärmeligen Kleid auf dem Balkon. In jenem Jahr wartete hier der März mit besonders lauen Temperaturen auf. Nach weiteren acht Stunden Fahrt war ich todmüde aber glücklich in der Stadt der Palmen, Pinien und Mandarinenbäume angekommen.

Es erwies sich tatsächlich als wesentlich einfacher, in der Türkei ein Aufgebot zu bestellen. Nachdem wir die mitgebrachten Papiere vorgelegt hatten, bekamen wir bereits innerhalb einer Woche den Termin zur Trauung. Auf Wunsch kam die Beamtin sogar ins Haus, da ich nicht zweimal in Weiß über die Straße gehen wollte. Ich hatte mein Hochzeitskleid bereits ausgesucht und beschlossen, es anzuziehen, da ich nicht wusste, ob ich im Hochsommer schon wieder Urlaub bekommen würde. Die große Hochzeitsfeier sollte nämlich am 14. Juli stattfinden, da meine Eltern zu diesem Zeitpunkt in einem Hotel in Ayvalık – also nur wenige Autostunden von Izmir entfernt – ihren Sommerurlaub gebucht hatten.

Die Trauung erfolgte nur im kleinen Kreis mit engster Familie meines Mannes und Freunden. Danach erhielten wir ein dunkelrotes Heft, das Familienbuch in türkischer, französischer und arabischer Sprache, überreicht. Ich wurde gefragt, ob ich die türkische Staatsangehörigkeit annehmen möchte, musste aber leider ablehnen, da der deutsche Staat das nicht zulässt. Das heißt im Klartext, mir wäre meine deutsche Staatsangehörigkeit sofort entzogen worden, wenn ich die türkische angenommen hätte – die Freundin einer Bekannten hat das am eigenen Leib erlebt. Dass es auch Ausnahmen gibt, erfuhr ich erst Jahre später.

Dann die Hochzeitsreise! Mit einem klapperigen Linienbus ging es über abenteuerliche Küstenstraßen in die Südtürkei. Bodrum: Atemberaubend lag es vor uns mit seiner im Wasser gelegenen Burg und den charakteristischen weiß getünchten Häusern. Wir fanden eines, in dem Zimmer an Feriengäste vermietet wurden. Stube, Küche und Bad nutzten wir gemeinsam mit unseren Wirten. Das nette Ehepaar hatte eine musikbegeisterte Tochter im Teenageralter und einen riesigen Garten mit Obstbäumen, Olivenbäumen und – Hühnern! In der Türkei werden diese gern und überall gehalten. Auch in unserer jetzigen Siedlung gehören sie quasi zum Stadtbild dazu. Da das Wetter in Bodrum schon sommerlich warm war, nahmen wir das leckere Frühstück stets auf der großen Dachterrasse mit überwältigendem Blick über die Stadt ein. Unser Mahl bestand aus von den Wirten selbst gewonnenem Honig, Butter, kleinen aber sehr schmackhaften Eiern der hauseigenen Hühner und auf besondere Art eingelegten ungesalzenen Oliven – die einzigen, die ich je essen mochte. Mittags fuhren wir zum Meer, jedoch badeten wir dort nur ein einziges Mal, denn das Wasser war wirklich eisig. Wir blieben trotzdem mehrere Tage und verabschiedeten uns mit dem Versprechen, irgendwann wiederzukommen.

Unser zweites Ziel war Fethiye, eine kleine Pension direkt am Ölü Deniz – Totes Meer. Das Meer war wirklich tot, zumindest was die Badegäste anbelangte – wir waren nämlich die einzigen an dem langen Sandstrand. Ende März hatte die einheimische Tourismussaison hier noch nicht begonnen. Dafür beäugten uns wilde Ziegen recht skeptisch. Begleitet von unserem Gelächter jagte eine von ihnen Hugo den ganzen Hang hinunter. Die Bettwäsche im Zimmer war ungemütlich klamm, was auf eine hohe Luftfeuchtigkeit schließen ließ. Wir blieben dann auch nur eine Nacht und fuhren mit dem Bus weiter nach Side. Damals war Side noch ein einfacher kleiner Ort, fern des ausländischen Tourismus. Dementsprechend war auch das Zimmer der Pension am Meer – einfach und kahl. Die gemütliche Behaglichkeit, die wir in Bodrum empfanden, wollte sich nicht einstellen. Dafür brannte schon frühmorgens die Sonne auf unseren Balkon, sodass man eigentlich keine Pfanne für die Spiegeleier gebraucht hätte. Und mittags konnte man nicht mehr barfuß über den Sand laufen. Ein ganz anderes Klima! Ich als Sonnenanbeterin war in meinem Element. Eine Steintreppe führte hinunter zu einem menschenleeren Strand. Das Meer war wild und fiel plötzlich steil ab. Als wir unserer Wirtin abends erzählten, wo wir gebadet hatten, erfuhren wir, dass dort schon Haie gesichtet wurden und wir lieber zum Strand auf der anderen Seite der Stadt gehen sollten. Am nächsten Morgen erwartete uns dort ein wunderbar goldfarbener, feiner Sandstrand, der uns an den von Çeşme erinnerte. Das Meer war unbeschreiblich warm und flach abfallend. Wir hatten leider nur noch wenig Zeit, denn ich musste bald nach Deutschland zurückfliegen, um dort meine Arbeit wieder anzutreten. Außerdem wollte ich versuchen, nochmals zwei Wochen Urlaub für den Juli herauszuschlagen, denn dann sollte ja die große Hochzeitsfeier stattfinden.

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©byChristine Erdic

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Die deutsche Buchautorin Christine Erdic lebt zur Zeit hauptsächlich in der Türkei.
Beruflich unterrichtet sie in der Türkei Deutsch für Schüler (Nachhilfe), sie gab
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