Mit dem Burj Azizi entsteht in Dubai nicht nur ein weiterer Gigant aus Stahl und Glas, sondern ein neues Kapitel in der Geschichte vertikaler Stadtentwicklung. Mit 725 Metern Höhe wird der Turm nach seiner geplanten Fertigstellung im Jahr 2028 das zweithöchste Gebäude der Welt sein. Dieser Artikel beleuchtet die statischen Herausforderungen, windtechnischen Analysen, multifunktionale Erschließungskonzepte und die ingenieurtechnischen Lösungen.
Dieses Konzept einer vertikalen Stadt stellt hohe Anforderungen an Planung, Design und Logistik. „Wir bewegen uns mit Burj Azizi jenseits klassischer Typologien,“ erklärt Matthew Fineout, Projetdirektor des Burj Azizi beim Architekturbüro AE7, Dubai. Was den Burj Azizi besonders macht, ist seine kompromisslose Ausrichtung auf vertikale Nutzungsdichte. Mit einer Grundfläche von nur 57 x 57 Metern bei 139 Stockwerken zählt der Turm zu den schlanksten Hochhäusern der Welt mit höchsten Anforderungen an die Grundstruktur, insbesondere hinsichtlich Schwingungsverhalten und Tragwerksstabilität. Das Designteam von AE7 setzt auf parametrisches Design, digitale Simulationen und Windkanal-Tests, um Struktur, Ästhetik und Funktionalität in Einklang zu bringen.
Extreme Höhe auf engem Raum
Der Burj Azizi wird durch seine Höhe zu einem regelrechten Spielball der Naturkräfte – insbesondere in den oberen Etagen. Je höher ein Gebäude, desto stärker wird es von Wind beansprucht. Windkanaltests zeigen: Die Druckverhältnisse variieren stark entlang der Fassade, insbesondere an den Rändern. Dies kann zu unerwünschten Vibrationen und Bewegungen führen, die zwar ungefährlich, aber unangenehm für Bewohner sein können. Zur Simulation und Analyse der Windkräfte arbeiten die Architekten gemeinsam mit Windingenieuren von RWDI, die bereits beim Burj Khalifa beteiligt waren, dem höchsten Gebäude der Welt, das sich ebenfalls in Dubai befindet.
„Der Winddruck steigt mit der Höhe deutlich an. Der positive Druck ist am höchsten in der Mitte der Fassade, während die Ränder durch die Verwirbelungseffekte geringeren Druck aufweisen,“ sagt Suresh Kumar, Spezialist für Strömungsmechanik bei RWDI. „Das Verhalten der Fassade bei verschiedenen Windrichtungen, Druckverteilungen an Ecken und im Zentrum sowie Turbulenzen müssen in Hunderten von Testszenarien durch Windkanal-Modelle geprüft werden,“ erklärt Kumar. „Die Tests sind heute Standard, um strukturelle Sicherheit und Komfort in Hochhäusern zu gewährleisten.“ Typischerweise werden Modelle im Maßstab 1:300 bis 1:500 verwendet, mit hunderten Drucksensoren auf der Oberfläche. Auf Grundlage dieser Daten werden nicht nur strukturelle Elemente angepasst, sondern auch die Form des Baukörpers selbst feinjustiert.
Minimierung der Windkräfte: Tuned Mass Dampers vs. Optimierung der Fassadenform
Um Bewegungen durch Windkräfte zu minimieren, werden häufig Tuned Mass Dampers (TMDs) eingesetzt – riesige bewegliche Massen, die durch kontrollierte Gegenschwingungen die Turmschwingung reduzieren. Die bis zu 800 Tonnen schweren Pendelsysteme werden im oberen Gebäudebereich installiert und wirken Schwingungen entgegen, die durch Wind oder seismische Aktivität entstehen. Die Systeme wirken wie Stoßdämpfer für den Turm, reduzieren Bewegungen bei starkem Wind und erhöhen so den Wohnkomfort in den obersten Etagen. „Ohne TMD ist der Turm statisch sicher, aber nicht zwangsläufig komfortabel“, erklärt Kumar. „In einem Gebäude dieser Höhe können sich die oberen Etagen bei starkem Wind mehrere Dezimeter bewegen. Der Damper reduziert diese Bewegung auf ein Niveau, das für Bewohner kaum noch spürbar ist.“
Aufgrund des hohen Gewichts eines TMD ist dies für den Burj Azizi jedoch keine Option gewesen. Stattdessen wurde die Form der Fassade so gestaltet, dass Gebäudebewegungen minimiert werden. „Wir haben in iterativen Schritten Windkanaltests und Berechnungen durchgeführt, um die Turmform so zu optimieren, dass Windeinwirkung und Gebäudebewegung minimiert werden,“ erklärt Fineout. „Die zackigen Ecken und die Abstufungen des Turms reduzieren die auf das Gebäude wirkenden Windkräfte.“
Gebäudekern als Strukturelles Rückgrat
Das statische Herzstück des Burj Azizi ist ein multifunktionaler Betonkern, der gleichzeitig Aufzüge, Fluchttreppen und Technikräume auf minimalem Raum beherbergt. „Wir mussten jeden Zentimeter sorgfältig kalkulieren. Jeder Quadratmeter muss funktional optimiert sein, um Nutzfläche zu maximieren und gleichzeitig strukturelle Integrität zu gewährleisten,“ erklärt Fineout. „Jeder zusätzliche Zentimeter für Technik reduziert die nutzbare Fläche für Wohnungen oder Gewerbe. Es geht darum, präzise zu dimensionieren, damit Funktion und Raumgewinn in Balance bleiben. Ein zu großer Kern geht auf Kosten von wertvoller Nutzfläche, ein zu kleiner gefährdet die Effizienz und Sicherheit.“
Die Kernstruktur dient dabei nicht nur der Erschließung, sondern auch als strukturelles Rückgrat für das gesamte Gebäude. Der Kern reicht über 600 Meter in die Höhe und besteht aus hochfestem Beton mit vorgespannten Stahlkomponenten. Zusätzlich wird der Kern durch diagonale Megastützen und perimetrische Trägersysteme stabilisiert, die eine kontrollierte Bewegung des Gebäudes bei Windbelastung ermöglichen. „Wir haben eine kompakte Kernstruktur entwickelt, die als Skelett fungiert und gleichzeitig die statischen Lasten über die gesamte Höhe zuverlässig ableitet,“ so Fineout.
Eine weitere Herausforderung bei der Planung des Gebäudes auf engstem Raum besteht darin, die unterschiedlichen Nutzergruppen zu trennen. „Wir sprechen hier nicht von einem reinen Wohnturm. Wir kombinieren Hotel, Einkaufszentrum, Wohnbereiche sowie Spas und Fitnesszentren – alle mit separaten Zugangssystemen. Das erzeugt eine enorme Komplexität in der vertikalen Erschließung,“ erläutert Fineout.
„Wir entwerfen nicht nur ein Gebäude – wir gestalten ein vertikales Ökosystem“, beschreibt Fineout das ambitionierte Vorhaben. „Unser Ziel ist es, nicht einfach nur hoch zu bauen, sondern eine funktionierende vertikale Stadt zu entwickeln – mit all ihren Anforderungen an Zugänglichkeit, Komfort und Struktur.“
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Matthew Fineout und Suresh Kumar werden das Megaprojekt Burj Azizi im Rahmen der Advanced Building Skins Conference am 4. November 2025 in Bern vorstellen. Weitere Referenten zur Fassadenplanung des Burj Azizi sind Paul Grove von Meinhardt Façade Technology, Dubai, und Ian Langham von Eckersley O’Callaghan, London.
Weitere Informationen unter https://abs.green
Artikel von Andreas Karweger
Fotos: © Azizi Developments, Dubai
Veröffentlicht von:
Advanced Building Skins GmbH
Zentralstr. 44
6003 Luzern
Schweiz
Ansprechpartner(in): Andreas Karweger
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