Siemsen (FDP) fordert einen „Gewerbeentwicklungs-Boost“ für Haar
Haar – Lkr. München/ Die Aufstellung des Gemeindehaushalts für 2024 gestaltete sich in der viertgrößten Kommune des Landkreises München deutlich schwieriger als in den vergangenen Jahren. Durch den Wegzug des ehemals größten Gewerbesteuerzahlers kränkelt Haars Einnahmeseite. Neben fehlenden Steuereinnahmen muss die Gemeinde im laufenden Steuerjahr auch noch eine Kreisumlage in Höhe von rund 30 Mio. € verkraften.
Angesichts der prekären Finanzsituation stellten Verwaltung und Gemeinderat alle Haushaltspositionen auf den Prüfstand. Nach drei intensiven Haushaltsvorbesprechungen und einer vorbereitenden Behandlung im Haupt-, Umwelt- und Werksausschuss wurde der von massiven Sparmaßnahmen geprägte Haushaltsplan in der Gemeinderatssitzung am 30. Januar 2024 mit 24 Ja- und 2 Nein-Stimmen beschlossen.
Siemsen, der dem Haushalt zustimmte, wies in seiner Rede darauf hin, dass trotz der vorgenommenen Einsparungen keine Entwarnung gegeben werden könne, da im laufenden Haushaltsjahr die Ausgaben des Verwaltungshaushalts die Einnahmen um rund 22 Mio. € übersteigen werden. „Mit Ausnahme eines einmaligen Sondereffekts in 2025 prognostiziert uns die Kämmerei auch für die Folgejahre keine Trendumkehr. Als Konsequenz drohen unsere Rücklagen bis 2027 von derzeit 44 Mio. € auf 10 Mio. € zusammenzuschmelzen“, warnte er davor, dass ohne deutlich steigende Gewerbesteuereinnahmen die Leistungsfähigkeit der Gemeinde nicht dauerhaft aufrechterhalten werden kann.
Der Sozialbereich erlebt nach seiner Aussage einen außerordentlichen „Stresstest“. Die empfindlichen Einschnitte im Bildungsbereich bei der VHS Haar sieht er kritisch und forderte zur Verbesserung der kränkelnden Gewerbesteuereinnahmen einen „Gewerbeentwicklungs-Boost“. „Das öffentliche Wohl soll das oberste Gesetz sein“, zitierte Siemsen in seiner Haushaltsrede mehrfach den römischen Politiker Marcus Tullius Cicero und schloss diese mit den eindringlichen Worten ab, „endlich das Notwendige zu tun“.
Die vollständige Rede ist nachfolgend veröffentlicht.
Haushaltsrede der FDP in der Haarer Gemeinderatssitzung am 30.01.2024
– Es gilt das gesprochene Wort –
Redner: Dr. Peter Siemsen, Gemeinderat der FDP
Sehr geehrter Herr Bürgermeister,
werte Kolleginnen und Kollegen,
wie in den vergangenen Jahren möchte ich auch meine diesjährige Haushaltsrede mit einem Dank beginnen. Dieser gilt allen voran den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Verwaltung. Die Aufstellung eines genehmigungsfähigen Haushaltsplans war in diesem Jahr alles andere als einfach und forderte Kämmerei und allen Sachgebieten ein hohes Maß an Flexibilität und Ausdauer ab. Erstmals in der bisherigen Amtsperiode benötigten wir aufgrund der unerfreulichen Entwicklung unserer Gemeindefinanzen drei Vorbesprechungen. Deren Vorbereitung und Durchführung war für unsere Verwaltung mit hohem Aufwand verbunden. Ohne die tatkräftige Mitwirkung der beteiligten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Amtsleiterinnen und Amtsleiter würde der heute zu beschließende Haushaltsplan so nicht vorliegen. Angesichts der teilweise bis in die späte Nacht dauernden Sitzungen möchte ich ausdrücklich deren Resilienz erwähnen und mich für die gezeigte Geduld ganz herzlich bedanken. In diesem Jahr erwähne ich an dieser Stelle aber auch die Vertreterinnen und Vertreter der anderen Fraktionen. Die schwierige, um nicht zu sagen prekäre Finanzsituation unserer Gemeinde forderte uns allen schwierige Entscheidungen zu einer Reihe von Haushaltspositionen ab, die unter günstigeren Rahmenbedingungen nicht einmal diskutiert worden wären. Trotz unterschiedlicher Präferenzen bei einigen Punkten sprangen viele über ihren Schatten, um das Ziel eines genehmigungsfähigen Haushalts zu erreichen und das, was unsere Gemeinde ausmacht und für unsere Bürgerinnen und Bürger wichtig ist, zu erhalten. Das gemeinsame konstruktive Ringen um notwendige Einsparungen und die dabei von allen Fraktionen eingebrachten Sichtweisen und Vorschläge waren von wesentlicher Bedeutung für den heute zu beschließenden Haushaltplan. Wir alle haben damit auch in schwierigen Zeiten unsere Handlungsfähigkeit als Kollegialorgan unter Beweis gestellt. Hierfür auch in Richtung der Mitwirkenden aus den anderen Fraktionen mein herzliches Dankeschön.
„Das öffentliche Wohl soll das oberste Gesetz sein“, schrieb Marcus Tullius Cicero in seinem staatsphilosophischen Werk De legibus bereits vor über 2000 Jahren. Angesichts der überaus angespannten Finanzlage unserer Gemeinde, die spürbare Einschnitte erforderlich macht, muss dieser Grundsatz mehr denn je als Gradmesser für haushaltspolitische Entscheidungen gelten. Die Betrachtung des diesjährigen Haushaltsjahres und der Folgejahre zeigt deutlich, dass die Einnahmesituation unserer Gemeinde nach dem Wegzug des ehemals größten Gewerbesteuerzahlers auf Dauer nicht mehr ausreichen wird, um die bisher erbrachten Leistungen dauerhaft sicherzustellen. Auf der Ausgabenseite mussten bereits für 2024 Einsparungen im Verwaltungshaushalt vorgenommen werden. Nicht zwingend in diesem Jahr umzusetzende Maßnahmen in der Verwaltung wurden verschoben, aber auch bei der Unterstützung unserer Vereine waren wir leider gezwungen, Abstriche zu machen. Der ciceronischen Logik folgend dürfen die betroffenen Strukturen und Einrichtungen hierdurch nicht substanziell gefährdet werden.
Unsere Vereine, ob groß oder klein, bereichern in hohem Maße das gesellschaftliche Wohl unserer Gemeinde. Bei den großen Leistungsempfängern wie Nachbarschaftshilfe, Musikschule und VHS galt es dabei in besonderem Maße abzuwägen, welche Einsparungen zumutbar sind. Hierbei müssen wir uns immer wieder in Erinnerung rufen, dass die reiche Kulturlandschaft in unserem Land anders als beispielsweise in den USA im Wesentlichen auf öffentlicher Förderung beruht. Pflege- und Betreuungsdienstleistungen oder Erwachsenenbildung würden viele Bürgerinnen und Bürger vermutlich als Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge bei den Pflichtaufgaben verorten. Tatsächlich werden diese Aufgaben von Empfängern freiwilliger Leistungen wie Nachbarschaftshilfe und VHS geschultert. Auch bei einer extrem angespannten Haushaltslage sind finanzielle Kürzungen bei diesen wichtigen Säulen unseres Gemeindelebens mit äußerster Vorsicht und Augenmaß vorzunehmen. Kultur und Erwachsenenbildung, insbesondere politische Dialog- und Bildungsangebote, sind gerade in der heutigen Zeit wichtige Rohstoffe für unsere freiheitlich-demokratische Gesellschaft. Sie erhöhen die Resilienz gegenüber Extremismus und Demokratieverachtung. Insofern sehe ich die heute beschlossenen, empfindlichen Kürzungen bei der VHS überaus kritisch. Haar als Bildungs- und Kulturstandort mit sozialer Verantwortung darf sich an dieser Stelle nicht mit Mittelmaß zufrieden geben, sondern muss – denken wir an Marcus Tullius Cicero – zum öffentlichen Wohl weltbeste Bildung und leistungsfähige Fürsorge als Anspruch haben!
In diesem Zusammenhang schmerzt natürlich die Tatsache, dass auch in diesem Vermögenshaushalt keine investiven Mittel für einen Schulcampus mit einer Realschule oder Baumaßnahmen für den Neubau unseres DINO-Jugendtreffs zu finden sind. Auch Investitionen für die Neugestaltung der Leibstraße, zu der im vergangenen Jahr ein innovativer Planungswettbewerb durchgeführt wurde, sucht man dort leider vergeblich. Die Entscheidung all diese Maßnahmen in 2024 trotzdem planerisch weiter voranzutreiben, zeigt deutlich, dass sie für uns fraktionsübergreifend von hohem Stellenwert sind. Beim Finanzierungsweg haben wir allerdings – das gehört zur Wahrheit dazu – noch unsere Hausaufgaben zu machen.
Positive Aspekte des Vermögenshaushalts sind die eingestellten Mittel für den Neubau einer dringend benötigten Kindertagesstätte und die Neugestaltung des Busbahnhofs zum Ausbau des ÖPNV-Angebots. Angesichts der Finanzlage erfuhr die Busbahnhof-Planung, wie uns in der letzten Bauausschuss-Sitzung vorgestellt wurde, noch eine Überarbeitung. „Not macht erfinderisch“: Unser Baureferat hat diesem alten Sprichwort neuen Wahrheitsgehalt eingehaucht und einen Weg zur Kostenreduzierung aufgezeigt. Hierfür möchte ich mich an dieser Stelle noch einmal ganz herzlich bedanken. Ebenfalls im Vermögenshaushalt abgebildet ist die Beteiligung an der GeoEnergie-MünchenOst GmbH & Co. KG. Die aktuelle geopolitische Situation hat uns allen vor Augen geführt, dass die Energiewende nicht nur aufgrund des Klimawandels ein wichtiger Baustein zur Daseinsvorsorge ist.
Trotz der vorgenommenen Einsparungen im Verwaltungshaushalt werden 2024 die Ausgaben dieses Pflichthaushalts die Einnahmen voraussichtlich um rund 22 Mio. € übersteigen und ohne Mittelzuführung aus dem Vermögenshaushalt nicht zu stemmen sein. Mit Ausnahme eines einmaligen Sondereffekts in 2025 prognostiziert uns die Kämmerei auch für die Folgejahre keine Trendumkehr. Als Konsequenz drohen unsere Rücklagen bis 2027 von derzeit 44 Mio. € auf 10 Mio. € zusammenzuschmelzen. Gleichzeitig steigen im gleichen Zeitraum unsere Schulden von 17,8 Mio. € auf 24,8 Mio. € an. Wir haben in diesem Haushalt eine Reihe von Maßnahmen und wichtige Investitionen zurückgestellt, um die Genehmigungsfähigkeit zu gewährleisten. Gleichzeitig erlebt unser Sozialbereich einen außerordentlichen „Stresstest“. Beides zeigt uns klar auf, dass die Leistungsfähigkeit der Gemeinde Haar ohne deutliche Steigerung der Gewerbesteuereinnahmen auf Dauer nicht aufrechterhalten werden kann. Die Gültigkeit der alten Binsenweisheit, dass sich Geld nur einmal ausgeben lässt, wurde uns bereits bei der Aufstellung des diesjährigen Haushalts schmerzhaft vor Augen geführt. Überlegen zu müssen, wem man etwas wegnehmen kann, um es anderen zu geben, darf nicht zu einem dauerhaften Zustand politischen Handelns werden. Wirksame Wirtschaftsförderung ist daher als dringende Pflichtaufgabe in der politischen Agenda unserer Gemeinde zu verankern. Hier sind alle Fraktionen gefragt, Ideen und Vorschläge einzubringen.
Beim Thema Gewerbe brauchen wir endlich mehr Einstieg als Ausstieg. Hierzu muss die Entwicklung und Vermarktung sämtlicher Gewerbeflächen offensiv und mit Hochdruck vorangetrieben werden. Wir brauchen einen „Gewerbeentwicklungs-Boost“: Unser Gewerbeflächenangebot ist dringend an die Anforderungen der neuen Arbeitswelten anzupassen. Darüber hinaus müssen wir auch für produzierendes Gewerbe offen und attraktiv sein. Die Ansiedlung von innovativen Firmen, die nachhaltig vor Ort produzieren, bietet neue Chancen, um unsere Gewerbesteuereinnahmen zu steigern und langfristig sicherzustellen.
„Das öffentliche Wohl soll das oberste Gesetz sein“, lehrt uns Marcus Tullius Cicero. Die Finanzierung der damit für unsere Gemeinde verbundenen Aufgaben ist auf lange Sicht betrachtet leider noch nicht gesichert. „Wir müssen aufpassen, dass die Kuh nicht einbricht“: Dieser von mir bereits im letzten Jahr getätigte Ausspruch gilt leider weiterhin. Der vorliegende Haushaltsplan und die aufgezeigte mittlere Finanzplanung verschafft uns allerdings noch einmal Zeit, endlich das Notwendige zu tun. Vor diesem Hintergrund stimme ich dem Haushalt zu.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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